Eine Reportage über das Leben in unserer Wohngemeinschaft
Auf einer Terrasse in Bad Langensalza sitzen sieben Seniorinnen und genießen die warme Vormittagssonne. Sie hören einer jungen Frau zu, die ihnen aus der Zeitung vorliest. Die neuesten Nachrichten aus der Region, das Wetter, die Horoskope und zuletzt die Leserbriefe. Es geht um die Erhöhung des Rentenalters auf 70. Schnell entspinnt sich eine Diskussion darüber und alle sind sich einig: Die Renten in Ost und West sollten endlich gleich hoch sein.
Die Seniorinnen dieser Runde sind die Bewohner der Seniorenwohngemeinschaft „Haus Bohn“. Hier leben vor allem Senioren mit Demenz im Anfangsstadium. Im Januar 2015 hat die AWO dieses Wohnprojekt im historischen Zentrum der Kurstadt eröffnet – in ebenso historischem Ambiente. Der Bau des ehemaligen Vierseithofes konnte auf 1740 datiert werden. Das denkmalgeschützte Gebäude verfiel und wurde zu einem Schandfleck in der sonst so hübsch sanierten Altstadt. Bis die AWO AJS gGmbH das Haus von der Stadt kaufte und es denkmalgerecht und mit Liebe zum Detail sanierte.
Heute befinden sich in dem Fachwerkhaus eine Begegnungsstätte, sieben seniorengerechte Wohnungen und eine Seniorenwohngemeinschaft mit neun Plätzen. Die WG-Bewohner haben jeder ein privates Zimmer mit großem eigenen Bad und teilen sich die gemütlichen Gemeinschaftsräume: Das Wohnzimmer mit der schicken Stuckdecke, die geräumige Küche, das Esszimmer und den Wintergarten. Von hier bietet sich ein toller Blick in den Garten mit dem großen AWO-Herz aus Tulpen in der Mitte.
„Wenn man vorher in einer eigenen Wohnung gewohnt hat, dann muss man sich schon ein bisschen umgewöhnen“, erzählt Hilde Schubarth*. Die 88-Jährige hat ihr WG-Zimmer kurz nach der Eröffnung bezogen. Sie genießt es, mitten in der Stadt zu leben, jederzeit zum Marktplatz oder ins nahe Kaufland spazieren zu können. Mit einem Augenzwinkern blickt sie von ihrem Häkelzeug auf und berichtet von den Nachteilen des WG-Lebens. „Wenn neun Frauen so eng beieinander wohnen und es nur eine Waschmaschine gibt, dann gibt das schon mal Ärger.“
Insofern ist das WG-Leben von einer Studenten-WG gar nicht so weit entfernt – viele andere Dinge sind aber von Grund auf unterschiedlich. Oder haben Sie schon einmal von einer Studenten-WG gehört, in der täglich der ambulante Pflegedienst kommt? Außerdem sind fast rund um die Uhr Präsenzkräfte vor Ort, die den Senioren bei der Grundpflege und im Alltag zur Hand gehen. Überall in der Wohngemeinschaft gibt es Handläufe an den Wänden, alle Flure und Türen sind breit genug für die Rollstühle und Rollatoren. Es gibt ebenerdige Duschen in den Bädern und ein großes Pflegebad, das alle nutzen können.
Zurück auf die Sonnenterrasse. Marianne Feig aus der Senioren-WG ist in ein Gespräch mit der Nachbarin aus einer der seniorengerechten Wohnungen vertieft. Die beiden Frauen kennen sich von früher – Frau Feig, stolze 94 Jahre alt, war jahrelang Bürgermeisterin von Grumbach, heute ein Ortsteil von Bad Langensalza. Generell geht es kommunikativ zu: Mit dem Ehepaar aus einer anderen Wohnung werden die Spargelpreise ausgewertet, auch mit dem Hausmeister, der das Blumenbeet wässert, lässt es sich angenehm plauschen. Aus einer Wohnung dudelt Radiomusik herüber, ein Hund bellt in einem benachbarten Hinterhof. Das Gesprächsthema wechselt zur Veranstaltungsplanung für die laufende Woche. Die Damen freuen sich auf das Kirschblütenfest am Mittwoch und den Männertagsfrühschoppen am Donnerstag. Zu beiden Festen sind sie in das gegenüberliegende AWO Pflegeheim „Haus an der Salza“ eingeladen. Gerade in diesem Moment kommt Vroni Zentgraf, eine weitere WG-Bewohnerin, aus dem Pflegeheim herübergelaufen. Sie hat dort am Vormittagssport teilgenommen. Jeder kann seinen Tag hier nach seinen Wünschen gestalten.
Der Vormittag neigt sich seinem Ende zu. Allmählich machen sich die Damen auf den Weg in den ersten Stock in ihre WG. Die Waschmaschine mit der Wäsche von Ingeborg Raack und Ingrid Fichte ist fertig. Sogleich machen sie sich daran, im Wintergarten die Wäsche aufzuhängen. Aus der Küche zieht der Geruch des Mittagessens herüber. „Wir kochen mit den Bewohnern auch viel selbst“, erzählt Pflegekraft Anne-Kathrin Schmidt. „Aber heute haben wir mal komplett auf das Essen aus dem Pflegeheim zurückgegriffen, um den Vormittag draußen verbringen zu können.“ Es gibt eine Suppe, dann je nach Wahl Spätzle mit Pilzragout oder gefüllte Paprika mit Reis, zum Nachtisch Schokoquark. Kurz vor 12 Uhr sitzen alle neun WG-Bewohnerinnen an ihrem Platz im Esszimmer. Gemeinsam isst es sich eben immer noch am besten.
* Alle Namen der Bewohner wurden zugunsten der Persönlichkeitsrechte geändert.